Sebastian Böhm
 
 
 

 

Der Spaziergang als Allegorie ist in Literatur und bildender Kunst nicht selten. "Ich ging im Wald so für mich hin, nach nichts zu suchen, das war mein Sinn". Goethes Worte, die beim oberflächlichen Hinhören für die Versinnbildlichung des absolute wertfreien Müßiggangs stehen könnten, beinhalten bei näherer Betrachtung eine ganz andere Bedeutung, denn es ist ja nicht so, dass derjenige, der nicht sucht, auch nicht findet. Im Gegenteil, ist das Finden des Nichtgesuchten der eigentliche Sinn des Spaziergangs. Das, dem Italienischen entstammenden, Wort "spaziare" bedeutet: Sich räumlich ausbreiten, sich ergehen, im Sinne einer geistigen Erbauung.

Literarisch bedeutsam wurde der Spaziergang durch Friedrich Schillers "Elegie" (so der eigentliche Titel seines Gedichtes von 1795, das er erst 1800 in "Spaziergang" umbenannte), worin der Dichter anhand des bergauf Ziehenden seine eigene Natur- und Geschichtsphilosophie entfaltet, welche Parallelen in die Moderne aufzeigt. Der Wanderer verfällt beim Anblick der Landschaft in ein tiefes Nachsinnen über die Menschheitsgeschichte, angefangen mit der Vision der schönen Vergangenheit bis zur "alptraumhaften" Gegenwart. Das Gedicht schließt jedoch mit einem optimistischen Blick in eine bessere Zukunft und mit der befreienden Zeile: "Und die Sonne Homers, siehe! Sie lächelt auch uns". Es gibt also noch Hoffnung.

Eichendorff, Kafka, und ganz besonders Robert Walser, um nur einige zu nennen haben sich mit dem gleichen Phänomen auseinander gesetzt, und von den bildenden Künstlern wären Namen wie Casper David Friedrich, Spitzweg, Renoir oder Macke zu erwähnen, und damit ist die Reihe noch lange nicht beendet. Ein Phänomen, dessen Ernsthaftigkeit ausreicht, einen eigenen Wissenschaftszweig zu begründen, die, und das ist kein Scherz, sogenannte "Promenadologie", mit der sich Prof. Lucius Burckhardt an der Gesamthochschule Kassel befasste. Im Fachbereich "Ästhetische Theorie der Landschaftsplanung/Sozioökonomie urbaner Systeme" entwickelte er mit seinen Studenten Grundlagen der Landschaftwahrnehmung, deren wichtigster Schlüsselsatz war: " Die Landschaft ist in unseren Köpfen, d.h. sie ist nicht per se bereits schön, sondern bedarf der Vermittlung des Sichtbarmachens, weil wir nur sehen, was wir auch zu sehen gelernt haben." Eine Tatsache, die auch im Text von Sebastian Böhm zum Tragen kommt.

Lassen Sie mich einmal auf die Person des Künstlers eingehen. Als Sebastian Böhm im Jahr 1995 als aktives Mitglied unserem Kunstverein beitrat, senkte er dessen Altersdurchschnitt ganz erheblich. Als er vor acht Jahren in diesen Räumen seine erste Einzelausstellung zeigt, glaubte die Rezensentin des Trierischen Volksfreundes die Arbeiten Böhms noch als Form- und Farbübungen apostrophieren zu müssen und fügte nach Erich Kästner hinzu: "Die Kinder werden heute später jung als ihre Väter." Was immer dieses nebulöse Zitat damals ausdrücken sollte, vieles hat sich seitdem geändert und vieles ist gleich geblieben in den Arbeiten, und um das Arbeiten von Sebastian Böhm. Den Altersdurchschnitt senkt er immer noch, und so, wie ich ihn und sein Selbstverständnis als Maler kenne, übt er sich immer noch darin, Formen in Farbe auszudrücken und der Farbe Form zu verleihen. Und so wird es wohl auch sein ganzes Malerleben lang bleiben, denn das "Sich üben" im Umgang mit Form und Farbe ist doch keine vorübergehende Phase des jungen Künstlers auf seinem Weg zur Selbstfindung, sondern das tägliche Bemühen um Weiterentwicklung und Perfektionierung der erworbenen Fähigkeiten, auf der Suche nach dem guten, wenn nicht sogar dem endgültigen Bild; und dieses Bemühen endet nicht plötzlich in Routine, sondern begleitet den ernsthaften und professionellen Künstler stets und stetig.

In diesem Sinne ist Sebastian Böhm schon lange auf dem richtigen, und für ihn einzig wichtigen Weg. Und das ist kein Spaziergang, das ist eine Reise, wie sie der leider allzu früh verstorbene Schweizer Maler und Schriftsteller Martin Disler in seinem Werk "Amazonas" beschreibt: "Der Reisende neigt dazu, an den Ausgangspunkt der Reise zurückzukommen, um zu sehen, wie sich der Ausgangspunkt verändert hat. (Er neigt dazu, aber zurück kommt er nicht, es geschieht im Kopf, also immer ein neuer Ausgangspunkt, und ein imaginärer des Ursprungs, auf einer imaginären Linie als imaginäre Skala oder fiktiv)." Ich bin mir sicher, dass Sebastian Böhms malerische und hoffentlich auch literarischen Berichte von den Stationen dieser Reise noch viele Überraschungen für uns bereithalten werden, und wir sehr viel Positives darüber erfahren und miterleben dürfen, denn was ich besonders hoch schätze am bisherigen Weg des Künstlers ist die Konsequenz mit der er wurde, was er ist, und mit der er ist, was er schon immer werden wollte: Ein Maler, ohne Kompromisse, ohne Einschränkungen.

Lassen Sie mich zum Schluss noch eines anmerken: Sebastian Böhms literarisches Debüt, diese Arbeit, die man der Kategorie des Essay zuordnen darf, ist kein Gehen oder Spazieren, sondern ein Sprung aus dem Stand auf eine beeindruckende Höhe. Ich würde mich freuen in Zukunft mehr von ihm lesen zu können. Und ich wünsche ihm, dass er auf seinem Weg nicht nur Wanderer bleibt, sondern bald auch flaniert, in dieser elegantesten Form des Spazierengehens, denn der Flaneur will nicht nur sehen, sondern auch gesehen werden, und das ist unabdingbar und wichtig für einen erfolgreichen Künstler und Autoren. (…)

 
Bernd Sauerborn, Trier, Eröffnungsrede zur Ausstellung Spaziergang mit dem Maler, 2. Dezember 2005

 
         
04.05.2021 14:58:15 © Sebastian Böhm, 2021